OMFO
Omnipresence
Essay Recordings AY CD 22
Music from Omfostan Mit Omnipresence legt der Forschungsreisende OMFO sein Opus Magnum vor. Es ist die Frucht jahrelanger Reisen, bei der er hunderte von Feldaufnahmen machte, der Vertiefung in alte Musikkulturen, des Erlernens einzigartiger Instrumente und den daraus resultierenden elektro-akustischen Experimenten. Wir sagen: ein Meisterwerk, das noch nie da gewesene Kombinationen von Sound und Instrumenten wagt, eine Reise durch Zeit und Raum, die den Hörer von der ersten Minute an fesselt. OMFOs Erstlingswerk auf Essay Recordings Trans Balkan Express begründete seinen internationalen Ruf. Der kam sogar Borat zu Ohren; zwei Tracks wählte er von diesem Album für den Soundtrack seines berühmten Films aus. Auf seinem zweiten Album We are the Shepherds führte OMFO eine virtuelle Herde von Schafen in den Orbit und ließ die Hirten in der Schwerelosigkeit musizieren. Nach Veröffentlichung dieses Albums arbeitete OMFO getreu seiner Losung „Zurück zu den Urbildern“ daran, seine Bühnenshow zu perfektionieren. Die Zusammenarbeit mit Musikern aus Eurasien ist seine größte Leidenschaft, das Studium traditioneller Kulturen und ihrer Verbindung mit den metaphysischen Kräften des Kosmos seine größte Inspiration. OMFO möchte dabei sein Verständnis eines wahrhaftigen Modernisten des Orients einem westlichen Publikum nahe bringen. Gleichzeitig versucht er, dem Zuschauer die Musik nicht nur als reine Unterhaltung darzubieten, sondern sie in Richtung Ritual zu erweitern. Mit DJ Goldfinger begann er das Primitive Equations-Projekt. Diese Abende haben die Musik traditioneller Kulturen im Fokus: ein DJ spielt vor allem Feldaufnahmen, die Videoprojektion präsentiert dazu Bilder jener Kulturen, aus denen die Musik entspringt. Im Oktober 2007 sandte die Aga Khan Music Initiative in Zentralasien OMFO nach Tajikistan, wo er mit Musikern aus Badakhshan, einer tief im Pamir Gebirge liegenden Region, zusammenarbeitete. „Falak - The Heavenly Music on Stage” ist das daraus resultierende Multimedia-Bühnenkonzept, das Europa und Zentralasien bereisen wird. Alle diese Erfahrungen haben OMFO bei der Arbeit an seinem neuen Album inspiriert. Die Gleichung, die er zu lösen versucht, ist keine einfache: traditionelle Kulturen und ihre Rolle im Technologie-Zeitalter. So kann man sein neuestes Werk Omnipresence als Laboratorium ansehen, in dem OMFO diese oberflächlich betrachtet gegeneinander stehenden Kategorien verbindet. Weiterhin gestaltet OMFO Soundtracks für die Videoinstallationen und Performances von Almagul Menlibayeva, einer weltbekannten, kasachischen Künstlerin (demnächst wieder auf der Biennale in Venedig zu sehen und zu erfahren).
Expeditions into Central Asian Dub Space
Reflektionen von OMFO zu seinem Album
Alles begann in einer chaikhana irgendwo in Zentralasien. Ich erfreute mich an einer Schale Tee, als plötzlich der östliche Teil meines Hirns geheimnisvolle Signale an meinen Körper sendete. Und dann verlor sich meine Vision der Welt im abstrakten Motiv eines turkmenischen Teppichs. Das ganze Universum verwandelte sich in ein Teppichornament. Der Klang des Gebetsrufs, die Geräusche des Basars und bellender Hunde verloren sich im unheimlichen Wüstenwind.
Im nächsten Moment fand ich mich auf dem Rücken eines Kamels wieder. Unsere lange Karawane bewegte sich in einem leuchtendgelben Gebiet einem unsichtbaren Horizont entgegen, dort, wo Sanddünen und der Himmel verschmelzen. Woher wir kamen, wer wir sind und wohin wir zogen, keiner konnte es mir sagen. Keiner sprach gar ein Wort. Wir befanden uns in einem traumartigen Zustand. Auf einmal begann eines der Kamele zu singen und bald summte die ganze Karawane mit. Mit einem plötzlichen Ruck zog mich die westliche Hälfte meines Hirns zurück in das Teehaus. Das wunderschöne Lied, das ich soeben noch hörte, verklang langsam.
Ich nahm einen weiteren Schluck Tee und als ich aufschaute, sah ich einen Gebirgszug. Ich saß im Schnellzug Richtung Dushanbe, neben mir ein Mädchen mit Augenbrauen, die wie Mondsicheln geformt waren, ein Schönheitsfleck zierte ihre Wange. Ihre sinnlichen Augen strahlten Liebe aus und sie lächelte geheimnisvoll, während sie ihrem türkisen iPod lauschte. Auf dem Display sah ich das Geheimnis ihrer Freude: Sie hörte Musik von OMFO.
Gerade in dem Augenblick, da ich sie ansprechen wollte, hielt der Zug im Niemandsland. Als ich ausstieg, sah ich einen langen Teppich, der mich geradewegs zu einer reich dekorierten Jurte führte. Es sah ganz danach aus, dass man mich erwartet hatte. Eine Gruppe von Nomaden, gekleidet in bunten chapans, boten mir eine Schale frischen kumis an. Ihr betagter russischer Weltempfänger spielte einen sanften Pamiri Dub und ein paar elektronische Arabesken, bevor er zusammenbrach. Die Stutenmilch hatte mich beschwipst und wie ein Geist flog ich ins Pamir-Gebirge. Ich landete in einem verlassenen kishlak, wo mich ein almasti Willkommen hieß. Bald war die ganze Familie dieser riesigen Yetis versammelt und begann ein neolithisches Ritual. Wir sangen ein Abracadabra und kreisten um einen riesigen Baum, schneller und schneller werdend, bis wir Donner hörten und ein Blitz in den Baum fuhr. Aus seiner Mitte erschien ein sibirischer Schamane. Seine Trommel schlagend rief er die Geister meiner unzähligen Ahnen. Im Bruchteil einer Sekunde wurde mir klar, dass ich überall hingehen kann, wo ich hin möchte, und das so geschwind wie ich möchte. Das Trommeln verwandelte sich in unzählige Lieder und Melodien, die in meinem riesigen Gehirn wie Feuer loderten: Musik! Unglaubliche Musik erfüllte das ganze Universum! Omnipresence!
PER ASPERA AD ASTRA.
Glossar
Chaikhana – zentralasiatisches Teehaus
Chapan – zentralasiatischer Kaftan
Jurte – Zelt der Nomaden
Kumis – fermentierte Stutenmilch
Kishlak – Siedlung, Dorf
Almasti – der gefürchtete Schneemensch (Yeti)
TRACKLIST
01. Tipsy Djinn
02. Sindbad the Spaceman
03. The Sorcerer
04. Expedition East
05. Pamiri Dub
06. Baghdub
07. Arabesque
08. Windhorse
09. Tajik Equations
10. The Lost Polyphonics
11. Pagansonic
12. Caravanserai
13. Siberian Abracadabra
14. Almasti
15. Kashgar Chai
16. Beauty Mark
17. Native Nocturne
18. Opium
19. Omnipresence
BIOGRAFIE OMFO
OMFO ist German Popovs Künstlername. Er wurde 1966 in der Hafenstadt Odessa in der UdSSR geboren. Als Heranwachsender im größten Land der Welt prasselte die Gehirnwäschenpropaganda auf ihn ein und er durchlebte den real existierenden Sozialismus von oben bis unten, bis das alles sein Ende fand. Als er die schmerzlichen Erfahrungen der Perestroika nicht mehr ertrug, zog er gen Westen. Er landete im multikulturellen Amsterdam - in einer Stadt, deren Einwohnern man eine laxe Einstellung gegenüber Cannabiskonsum und frivolem Verhalten nachsagt. Dort entdeckte G. Popov das umfassende kulturelle Erbe der Vergangenheit. Utopische Ideologien, die Moral und der kulturelle Verfall der Ära Breschnew, der Pathos der Eroberung des Weltalls und ethnische Diversität: All dies versetzte ihn in die Lage, OMFO zu werden.
G. Popovs musikalische Laufbahn begann damit, dass er zusammen mit Alex Kopyt in teuren Restaurants und Flüchtlingsunterschlupfen Gangster-Balladen und Gefängniserzählungen vortrug. Unter dem Namen The Children of Lieutenant Schmidt zogen sie Weltmusik-Fans das Geld aus der Tasche. Nach einer Weile wurde das Ganze unerträglich und G. Popov begann, sich für das Weltall und Kosmonauten zu interessieren. Zusammen mit anderen sowjetischen Auswanderern gründete er eine Band namens Sputnik. Bald wurde Sputnik von Fans elektronischer Extravaganz entdeckt; kurz darauf veröffentlichten sie ihr Album „The Favorite Songs of Soviet Cosmonauts". Während die Band in glamourösen Clubs und auf Privatpartys herumpiepste, schlug G. Popov einen neuen musikalischen Weg ein - Folklore. Während einem seiner Soloauftritte wurde er von dem Produzenten eines großen, niederländischen New-Age-Labels angesprochen. Der bot ihm an, in seinem Studio aufzunehmen. Kurz darauf veröffentlichte Oreade Music das Album unter dem mysteriösen Namen Isiric. Zu G. Popovs Überraschung wies das Label sein Werk als „Weltheilungsmusik" aus. Entgegen dieser Kategorisierung inspiriert das Album sogar heute noch junge Intellektuelle in der gesamten früheren UdSSR dazu, mit psychedelischen Substanzen herumzuexperimentieren. Das Geheimnis seines Erfolgs steckt in den russischen Texten und den exotischen sibirischen und zentralasiatischen Melodien, gespielt auf entlegenem Instrumentarium, gesungen mit ungewöhnlichen Vokaltechniken. Wahrscheinlich entdeckte G. Popov dabei, dass ethnische Weisheiten und Elektronik als wahre Folklore des 21. Jahrhunderts untrennbar miteinander verbunden sind.
Dann packten die Neunziger allmählich ihre Siebensachen. OFMO konzentrierte sich auf sein Soloprojekt Our Man from Odessa und arbeitete er mit mehreren Elektro-Labels zusammen. Das kleine niederländische Label Kidnap, das von Mitgliedern der früheren sowjetischen Diaspora gegründet und geleitet wird, brachte die meisten seiner frühen Alben heraus. Während dieser Zeit kollaborierte er auch mit einer kontroversen Diva aus der abgelegenen sibirischen Republik Tuva: Mit Sainkho Namchilak bereiste er die Welt und trat in großen internationalen Konzertsälen auf. Zur Jahrtausendwende erschufen G. Popov und seine Freunde eine neue Plattform für ihre futuristischen Sound- und Musikvisionen: Solaris entstand. Inspiriert vom russischen Konstruktivismus und utopischer Romantik war dieses Projekt nicht einfach Plattenlabel, sondern Kunstlabor. Das glamouröse Alias Our Man from Odessa verkürzt sich zum enigmatischeren OMFO. Während dieser Zeit knüpft OMFO Kontakte mit Projekten und Künstlern wie Metamatics, Aavikoo, Jimpster, CiM und Felix Kubin, die sich allesamt auf Solaris-Veröffentlichungen wie Aelita, Cheap Electric Paradise und Omnipresence. Dank ihres unfehlbaren Designs führen Musikvertriebe wie Plattenläden diese Alben immer noch als Sammlerstücke. Dann kontaktierte ihn Vladimir Lomberg - jemand, der genauso denkt wie OMFO und bei Solaris und Kidnap hinter den Kulissen wirkt. Er brachte OFMO in Kontakt mit Essay Recordings - einem Plattenlabel, das unter anderem das versteckte Potential osteuropäischer Musik ergründet. OMFO begann die Zusammenarbeit mit dem erfolgreichen Remix eines Tracks, der von Shantel - dem ersten, der Musik aus dem Balkan mit elektronischen Beats mixte - geschrieben worden war. Nachdem der Remix auf dem legendären Bucovina-Club-Album erschienen war, beauftragte Essay OFMO mit einem neuen Album. Etwas Neues musste her: OMFO setzte den Trans Balkan Express auf die Schienen.
Kurz nach Veröffentlichung wurde das Album in ganz Europa - und darüber hinaus - bekannt; Hits wurden im Radio gespielt, die Massenmedien berichteten. OFMO wuchs indes schon bald aus dem Genre heraus. Die eigenartige und irgendwie humorvolle Vision eines karpathischen Dorfbewohners, der auf einem analogen Synthesizer einheimische Melodien spielt, machte OMFOs Musik für Leute jeder Kaste, jeden Berufs und jeden religiösen Glaubens zugänglich und verständlich. Allein diese Qualität ist der Grund dafür, dass Kriminelle, Schafhirten, Astronomen sowie Taxifahrer und sogar Terroristen zu seinen Zuhörern zählen. Gerade wegen seiner Einfachheit bezeichneten viele Musikkritiker Trans Balkan Express als innovativ. Die Songs auf Trans Balkan Express wurden anderen Labels lizenziert und auf verschiedenen Compilations veröffentlicht. Das Album erregte auch die Aufmerksamkeit des berühmten Komikers Sasha Baron Cohen, besser bekannt als Ali G. Zwei Tracks von Trans Balkan Express werden bald in dem neuen 20th-Century-Fox-Kinofilm „Borats Guide to America", auftauchen.
Im Frühjahr 2006 lernte G. Popov Uwe Schmidt - auch bekannt unter seinen Künstlernamen Atom™ oder Señor Coconut - höchstpersönlich kennen. Der Soundzauberer ließ sich dazu überreden, bei der Produktion von OMFOs neuem Album mitzuwirken. Getrennt durch den Atlantik, wiewohl verbunden durch ein gemeinsames Ziel, tauschten sie Midi- und Audio-Files aus, frickelten an Sounds herum und testeten die Grenzen ihrer Soft- und Hardware aus. Es dauerte einen Monat, und das Album war fertig. Das Projekt We are the Shepherds wurde zur logischen Weiterführung des Vorgängers Trans Balkan Express. Die ironischen Kraftwerk-Referenzen beider Titel sollten das elektronische Musikkonzept unterstreichen.
Um seine Projekte der Weltöffentlichkeit zu präsentieren, stellte OMFO aus fünf außergewöhnlichen Leuten eine Band zusammen. Zur Band gehören das transsilvanische Wunderkind Vasil Nedea an Hackbrett und Akkordeon sowie der aserbaidschanischen Science-Fiction-Schreiber und Virtuose Rassul Kazimov an Târ (ein ohne Plektrum gespieltes Saiteninstrument) und E-Gitarre. Der Freiheitskämpfer und Geschichtenerzähler Bakhtiyar Eybaliyev, Sänger und Percussionist der Band, wird oft mich einer Nachtigall verglichen. Ebenso oft singt auch Fay Lovsky, die „Lady aus dem Jenseits". Sie spielt äußerst seltene Instrumente wie das Theremin und die singende Säge - was der Musik eine unheimliche und mysteriöse Stimmung gibt. Sie alle wirkten an den Aufnahmen von We are the Shepherds mit.
Das Spektrum vom OMFOs Werken breit gefächert. Er produziert Soundtracks für Erwachsenenvideos und komponiert Jingles für turkmenische Radiostationen. Für die Biennale in Venedig schrieb er den Soundtrack für den ersten zentralasiatischen Pavillon. OMFO spielt mit seiner Band, macht Solo-Shows, performed als Soundkünstler und sammelt Alltagsgeräusche. Eine seiner ganz aktuellen Wege Musik zu nutzen ist die Schöpfung „musikalischer Horoskope". Um seine musikalischen Ideen auch live perfekt umzusetzen und europäische Stereotypen einer Bühnenperformance zu durchbrechen, ist er auf der Suche nach den richtigen Locations: So spielt er eher in Kunstgalerien, Kinos, Theater, Planetarien und botanische Gärten als in Clubs.